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Und dann kam Bo ins Familienleben

Das vierte Enkelkind eilt auf die Welt und bringt alle auf Trab

 

Eigentlich wäre er im Juni auf die Welt gekommen, nach vierzig Wochen im Mutterleib, so um die 55 Zentimeter groß und mit einen Geburtsgewicht von gut 3 000 Gramm. Doch es kommt anders, denn „Bo“ mein viertes Enkelkind, hat nicht nur einen besonders kurzen Namen, sondern hat es auch besonders eilig... 31. März 2012, 16.07 Uhr. Kaiserschnitt! Bo ist da. In der 31. Woche, 40 Zentimeter klein und 1670 Gramm leicht. Das erste Bild von ihm – eine Katastrophe! Ein Winzling mit Mütze im Brutkasten. Er atmet selbständig, doch Herzschlag, Sauerstoffgehalt und und, und... alles unter ständiger Kontrolle. Ernährt wird Bo mit Muttermilch, die er über eine Magensonde erhält.

Zwei Tage später der erste Besuch auf der Säuglings-Intensivstation des Schwarzwald-Baar-Klinikum Villingen-Schwenningen. Ich kann es kaum fassen, Bo ist so klein, doch hier ist er einer der größten. In den Brutkästen kleine Menschlein – dieser seltsamen, neuen Welt hilflos ausgeliefert. Ständig geht irgendein Alarm, sind Schwestern und Ärzte beschäftigt und Mütter und Väter anwesend, die ihr Kleines wenigstens eine Stunde im Arm halten möchten. Mein Herz krampft sich zusammen. Die Besuchsregeln sind streng. Nur die Eltern und Geschwister so oft sie wollen und einmal am Tag ein „Fremder“, aber nur in Begleitung eines Elternteils. Selbst ich als Oma, bin eine „Fremde“ und natürlich muss ein Besucher absolut gesund sein, Hände und Arme gründlich waschen und desinfizieren, denn eine Infektion ist eine absolut ernsthafte Bedrohung.

 

Die ersten Tage nimmt Bo ab, bald wiegt er nur noch 1.500 Gramm, doch dann geht es langsam aufwärts. Was jetzt beginnt ist ein Leben, das von den täglichen Besuchen im Krankenhaus bestimmt wird. Meine Schwiegertochter pumpt alle paar Stunden ihre Milch ab und zweimal am Tag muss Bo angelegt werden. Das dauert endlos – mühsam muss er erst lernen zu trinken. Zweimal von Triberg nach Villingen-Schwenningen sind knapp 120 Kilometer, reine Fahrzeit etwa 80 Minuten und das Versorgen von Bo mindestens drei Stunden am Tag. Ach ja, und dann ist da noch das Abpumpen.

Mittagessen kochen? Schularbeiten? Alltag? Was bleibt noch übrig für die beiden Geschwister von unserem jüngsten Spross? Ganz abgesehen von der enormen psychischen und physischen Belastung. Es ist, als würde die Zeit still stehen. Es gibt keinen Sonntag oder Montag, es gibt nur noch Bo und seine Bedürfnisse. Denn was man jetzt etwas versäumt, kann sich später bitter rächen.

Alles geht gut – unser Winzling kommt schon einen Monat später nach Hause. Sein Gewicht: 2000 Gramm und wir sind froh und glücklich. Doch was wäre, wenn? Ja, wenn nicht Kinderarzt, Brutkasten und modernste Lebenserhaltungssysteme sofort zur Stelle gewesen, die Säuglings-Intensivstation im Schwarzwald-Baar-Klinikum geschlossen worden wäre und Bo nach Freiburg oder Tübingen hätte transportiert werden müssen, wie es in 2009/ 2010 zur Diskussion stand? Dass einige dieser Winzlinge vielleicht gar nicht überlebt hätten, steht auf einem anderen Blatt. Doch, wie um alles in der Welt, hätte das Handling für meine Schwiegertochter dann ausgesehen? Darüber mag ich gar nicht nachdenken.

 

Barbara Dickmann

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